Marketing 2026

Creator-Erschöpfung und die formbare Generation

Wie Social Media Rollen prägt, Menschen treibt und warum wir im Marketing darüber sprechen müssen
Neon-grüner Text auf schwarzem Hintergrund: "DIE CREATOR-HÖLLE!" über einem Gitterboden.

Die Marketing-Hölle: Social Media

Nach den ersten beiden Artikeln dieser Serie über Trendmüdigkeit und den Effizienzmythos im Marketing, sind wir an einem Punkt angekommen, den viele in unserer Branche vermeiden: die Frage nach den Menschen, die in diesem System agieren. Nicht die Marken. Nicht die KPIs. Nicht die Plattformen. Sondern die Menschen, die all das produzieren, konsumieren, performen, mittragen.
Denn wenn wir ehrlich sind, hat sich Marketing in den letzten Jahren nicht nur fachlich verändert, es hat angefangen, Identitäten zu formen. Und damit betreten wir eine Ebene, die weit über Conversion Rates, Trendzyklen und Reels-Strategien hinausgeht.

Vom Trenddruck zur Selbstinszenierung: eine logische Konsequenz

In Artikel 1 ging es darum, wie Trends zu Konformität führen. In Artikel 2 darum, wie Effizienzdenken Marken verengt. Artikel 3 ist die Konsequenz daraus: Was passiert, wenn Menschen versuchen, in einem System sichtbar zu bleiben, das niemals müde wird... aber sie selbst schon?
Die Antwort ist unbequem: Creator fangen an, Rollen zu spielen, die nicht für sie gemacht sind. Sie optimieren ihre Persönlichkeit genauso wie ihren Content. Sie performen Nähe, liefern Authentizität, simulieren Spontaneität und verlieren dabei manchmal den Kontakt zu etwas, das früher selbstverständlich war: Dem eigenen Maß. Der eigenen Stimme. Der eigenen Grenze. Und das ist kein individuelles Versagen. Es ist ein Systemfehler.
Social Media: Kein sozialer Raum, sondern ein Markt
Wir haben lange so getan, als sei Social Media ein Ort des Austauschs, des Spaßes und Sielens. Ein digitaler Spielplatz. Doch realistisch betrachtet ist es heute ein ökonomisches Interaktionssystem. Das bedeutet:
  • Sichtbarkeit ist Ware
  • Aufmerksamkeit ist Währung
  • Identität ist Produkt
  • Nähe ist Strategie
  • Authentizität ist Stilmittel
Und wenn all das stimmt, dann ist es kein Wunder, dass Creator Rollen entwickeln, die funktionieren. Nicht Rollen, die gesund sind. Sie werden zu Hochleistungsidentitäten, die immer liefern müssen: Emotionen, Geschichten, Humor, Relevanz. Oft mehrmals täglich. Kein Mensch ist dafür gebaut. Besonders gut erkennt man das an Persönlichkeiten, die ausgestiegen sind und die schiere Menge der Aussteiger, also großer Influencerinnen und Influencer beweist doch, wie anstrengend und überfordernd die Welt der Creator mittlerweile ist.
Die formbare Generation: Wenn Algorithmen Weltbilder prägen
Wir dürfen nicht vergessen: Viele junge Menschen wachsen nicht nur mit, sondern in diesen Systemen auf. Social Media ist unterhaltsam, aber es ist auch sozial formend.
Plattformen erstellen Rollenbilder, bevor Menschen ihre eigenen gefunden haben. Creator werden zu Identitätsvorlagen. Der Algorithmus entscheidet, was attraktiv, wünschenswert oder erfolgreich erscheint.
Das Ergebnis ist eine Generation, die:
  • ständig beobachtet wird,
  • sich ständig vergleicht,
  • ständig erreichbar ist,
  • ständig interpretieren muss, ob sie „genug“ ist.
Sie sind nicht schwach, nicht naiv, nicht unkritisch. Sie sind schlicht überwältigt von einem System, das nie Pause macht, aber permanente Formbarkeit verlangt. Und als Marketeer müssen wir uns fragen: Wie viel dieser Rollenbilder erzeugen wir selbst?
Stille Manipulation: Wenn Authentizität zur Methode wirdEin neues Gleichgewicht
Das vielleicht größte Problem entsteht dort, wo Fiktion so tut, als wäre sie Realität. "Authentizität" wurde in Social Media zum Production Value. Doch etwas, das bewusst erzeugt wird, ist definitionsgemäß nicht authentisch.
Wenn Creator Nähe simulieren, weil Strategien es verlangen, wenn Marken „Echtsein“ als Stilrichtung nutzen, wenn Konsumenten Emotionen serviert bekommen, die eigentlich Werkzeuge sind, dann beginnt die Grenze zwischen Erleben und Inszenierung zu verschwimmen. Und irgendwann fragt sich niemand mehr: Ist das noch echt oder ist es nur noch funktional?
Was bedeutet das für uns im Marketing?
Wir tragen nicht die Schuld. Aber wir tragen Verantwortung. Verantwortung dafür, wie wir kommunizieren und dafür, welche Bilder wir verstärken. Wir tragen Verantwortung dar, welche Erwartungen wir schaffen. Dafür, ob Menschen an unserem Content wachsen... oder eben zerbrechen. Und vielleicht ist das die ehrlichste Erkenntnis meiner virtuellen Gedanken: Marketing ist nie neutral. Es wirkt. Immer. Auf Märkte, auf Marken und auf Menschen. Auf irgendeine Weise! Deshalb müssen wir uns fragen: Wollen wir Identitäten formen, die funktionieren? Oder Identitäten unterstützen, die echte Räume für Menschen lassen?
Der Text „DIE CREATOR-HÖLLE!“ in leuchtenden grünen Neonbuchstaben auf schwarzem Hintergrund mit Raster.
Marketing in Verantwortung.
Ich möchte Kommunikation gestalten, die Halt gibt. Die Raum schafft. Die Mut macht, statt Angst zu schüren. Die Menschen nicht formt, sondern stärkt. Wenn Marketing Bedeutung hat, dann muss diese Bedeutung beim Menschen beginnen.
ArtikelSerie: Marketing 2026
Verliert das moderne Marketing die Seele?
Droht das Marketing zu einem reinen Effizienzspiel zu werden? Diktieren Algorithmen Tempo, ersetzen Trends Denken und wird scheinbare Authentizität zum Produktionsstil? Was bleibt übrig, wenn wir Wirkung mit Output verwechseln? Im Leitartikel der neuen Serie zeige ich, warum Marketing mehr ist als Zahlen, Frequenzen und Formate. Und weshalb wir gerade jetzt lernen müssen, wieder zwischen Mechanik und Bedeutung zu unterscheiden.
Gedanke 1
Trends als Selbstzweck: Warum ich als Marketeer nicht mehr alles mitspielen will
Gedanke 2
Der Effizienzmythos: Wie wir den Marketingbegriff verlieren, wenn alles zur Kennzahl wird
Gedanke 3
Die erschöpfte Maschine: Wie Social Media Rollenbilder prägt und eine ganze Generation formt
Artikel 4
Die Inszenierung des Echten: Warum Authentizität zur Methode wurde und keine Haltung mehr ist